Wie erlebten die Wilhelmshorster den Umbruch 1989? Diese Frage hatte der Verein der Freunde und Förderer der Wilhelmsdorfer Ortsgeschichte gestellt. Viele Bürger kamen am Samstag ins Gemeindezentrum, um ihre Erinnerung weiterzugeben.

Wie erlebten die Wilhelmshorster den Umbruch 1989? Diese Frage hatte der Verein der Freunde und Förderer der Wilhelmsdorfer Ortsgeschichte gestellt. Viele Bürger kamen am Samstag ins Gemeindezentrum, um ihre Erinnerung weiterzugeben.
Viel Beifall erhielt Torsten Lodni für seinen Wendebericht. 1989 Schüler der 9. Klasse, weilte er mit den Klassenkameraden im Lager für Erholung und Arbeit in Halle (Saale). „Vier bis sechs Stunden arbeiteten wir am Tag. Die Jungs hoben einen Kabelgraben aus, die Mädchen legten Hand an im Pferdestall. In der Freizeit interessierte mich besonders die Altstadt“, erzählte er. Er und ein Freund richteten die Kamera auf erhaltene und fast verfallene Bausubstanz. Zum 40. Republikgeburtstag gestalteten sie eine Wandzeitung über den Lageraufenthalt – und dazu eine Bilderschau.
„Wir erhielten am 7. Oktober vom SED-Bezirkssekretär ein Lob für die Arbeit“, berichtete Lodni. „Aber der Mann hatte wohl nur flüchtig auf Fotos und Kommentare geschaut, denn nachmittags war die Tafel aus der Schule verschwunden.“ Die beiden Schüler liefen zur HO-Gaststätte „Ravensberge“, wo die Partei feierte, um den Verbleib der Wandzeitung zu erkunden. Dort wurden sie rasch abgewimmelt.
„Am nächsten Schultag mussten wir ins Direktorenzimmer kommen. Unsere Darstellung wurde als ,unwürdig und letzter Dreck’ abgestempelt. Ich bangte, jetzt meinen schon sicher geglaubten Abitursplatz zu verlieren“, berichtete Lodni. Die Sache hatte noch ein Nachspiel. Als im Dezember schon längst die Mauer gefallen war, bestellte der stellvertretende Bürgermeister die Wandzeitungsschöpfer in eine öffentliche Sitzung. Wandzeitung und Fotos waren zu sehen. „Die uns zunächst am liebsten verbannt hätten, lobten unsere ,gelungene Arbeit’. Und so kam unser Werk doch noch in die breite Öffentlichkeit.“
Von „ständiger Angst, nur nichts Falsches zu sagen oder etwas zu kritisieren“, sprach Lehrerin Ruth Bockisch. Sie unterrichtet noch heute an der Wilhelmshorster Schule.
„Zum Schuljahr 1989/90 warnte die Abteilung Volksbildung vor der Verharmlosung der Republikflucht und rief auf, unnötige Parolen zu vermeiden“, erinnert sich die Lehrerin. Die Ereignisse der Oktobertage veranlasste die Schulverantwortlichen, eine Schülerabordnung nicht zur 40-Jahr-Feier nach Berlin zu entsenden. „Es war für uns zu unsicher“, sagte Ruth Bockisch.
Für sie war 1990 schließlich die erste und wohl auch letzte freie Wahl eines Schulleiters, wie sie sagte, besonders herausragend.
Pastor Uwe Breithor berichtete, wie auch in Kirchenkreisen über die Zukunft gesprochen wurde. „Als wir am 9. November in der Kirche wieder zusammensaßen, ging plötzlich die Tür auf. Eine Frau stand in der Tür: ,Ihr könnt aufhören zu diskutieren. Es kommt bestimmt anders, als ihr denkt. Die Mauer ist auf.“
Die Landtagsabgeordnete Susanne Melior (SPD) erzählte, wie sie mit Elisabeth Schrödter von der Kirche übers Neue Forum mit zur Gründerin der Sozialdemokratischen Partei (SDP) wurde.
Aus seinem wie ein Tagebuch aufgemachten Bildband zitierte der Kleinmachnower Fotograf Bernd Blumrich – er ist gebürtiger Wilhelmshorster.
Nicht alle kamen zu Wort. Sie werden Aufsätze für einen neuen Band der Wilhelmshorster Ortsgeschichte schreiben, wie Organisator Rainer Paetau ankündigte. Die Wendezeit-Fotos von Horst Halling und seiner Frau sind im Bürgerzentrum zu sehen, ebenso andere Werke einheimischer Künstler zum Thema.

Von Wolfgang Post
Quelle: MAZ