Nach zehn Jahren literarischer Veranstaltungsarbeit hat das Peter-Huchel-Haus sein Profil ein wenig geändert. Nun stehen auch gesellschaftliche Themen im Terminplan von Lutz Seiler, Wilhelmshorst scheint das gut zu tun. Es dankt durch regen Besuch, sogar am Samstagabend, wo man sich eigentlich anderen Dingen widmet als der Frage „Wozu Ortsgeschichte?“. Ausgelöst durch die 100-Jahrfeier und eine großzügige Publikation, war das gewachsene Interesse der 3000-Seelengemeinde an diesem Thema unübersehbar, vielleicht bringt ja das eine Drittel Zugezogener etwas frischen Wind. Wie dem auch sei, das Jubiläum hat einiges bewegt.

Historiker und Ortschronist Rainer Paetau, seit zehn Jahren bekennender Wilhelmshorster, führte ins Thema mit dem Untertitel „Kleine Heimat und Globalisierung“ ein. Vom letzteren war nicht viel zu hören, auch mit „Heimat“ tat er sich schwer. Das Wort sei vom 3. Reich, „vielleicht auch von der DDR“, missbraucht worden. „Lokale Identifikation“ oder „Ortsbezogenheit“ sollten es ersetzen.

Bei der Arbeit an der Chronik stieß der Autorenstab immer wieder auf Argumente wie „hier ist nichts zu erzählen“ oder „lasst die Vergangenheit ruhen“, doch schon alte Fotos brachten die Einheimischen zum Reden, bald reihte sich eins an das andere. Der Historiker fasste seine Erfahrungen in vier Thesen zusammen. Ortsgeschichte sei ein kommunikationsfördernder Faktor lokaler Kultur. „Verschärfende“ Umstände wie kollektives Schweigen könnten den sozialen Zusammenhalt fördern, weil sie die Chance böten, historischen Konfliktstoff abzubauen. Andererseits brächte Hauptstadtnähe die Gefahr, dass Informationen durch Wegzug verlorengehen, viertens müssten wegen des „instabilen suburbanen Siedlungs-Charakters“ des Ortes kulturelle Programme her, wozu lokalgeschichtliche Initiativen wie das neue Ortsarchiv gehörten. Auch wegen der Globalisierung: Je weiter sie fortschreite, „um so mehr lokale Heimat brauchen wir“. Den Heimat-Begriff ließ er „historisch“ aber erst weit nach 1800 beginnen.

Die Berliner Architektin Claudia Kromrei hatte mit der Vokabel keine Probleme. Anhand von Planungen ihres Kollegen Albert Gessner, der um 1910 Wilhelmshorst-Süd schuf, erläuterte sie, „wie Architektur Heimat stiftet“. Er habe einfach „den Genius loci“ des Ortes sichtbar gemacht, indem er die schnurgerade Straße des Nordteils gebrochen und beispielsweise die eiszeitliche Seenkette, Hügel und Wald in seine Planung einbezogen hatte. Als dritter Podiumsgast referierte der exzellente Kenner Brandenburger Geschichte, Hans-Joachim Schreckenbach, über die Heimatvereine der Mark seit dem 19. Jahrhundert, wobei er auch dem DDR-Kulturbund die nötige Ehre angedeihen ließ. Sehr informativ, sehr kompakt, sehr anregend.

Leider kam eine Diskussion unter den drei Spezialisten nicht zustande, das zahlreich erschienene Publikum übernahm hochmotiviert. Es wurde gefragt, ob man eine oder vielleicht „viele Heimaten“ habe, was bejaht wurde. Wonach aber sehnt sich das Heimweh? Ein Neubürger aus Österreich warf ein: Wenn sie an der Südspitze Madagaskars stehen und plötzlich begegnet ihnen ein Weißer oder ein VW, dann wissen Sie sofort, was Heimat ist! Madagaskar war das Stichwort für Lutz Seiler, um Entsprechendes aus seinem Essay „Heimaten“ vorzulesen.

Letztlich waren sich alle einig, dass auch der globalisierte Mensch seinen „identitätsstiftenden Handlungsraum“ braucht und dafür etwas tun muss. Sonst hat man eben keine. Heimatvereine sind dafür die wichtigsten Kulturträger jedes Ortes. Wenn sich das Huchelhaus dafür einsetzt, ist das nur zu begrüßen – hoffentlich gehen solche Gespräche weiter.
PNN