Die Langerwischer hatten oft mit Ärger von oben zu kämpfen. Trotzdem haben sie 725 Jahre durchgehalten
Mit der Obrigkeit hatten sie schon immer Probleme: Anno 1798 klagten Bürger aus Langerwisch vor dem Amt in Potsdam, dass die Dienstlasten zu hoch seien. Oft müssten sie für den Amtmann arbeiten, ihr Vieh sei mager und sie selbst verarmt. Solche Nöte ziehen sich wie ein roter Faden durch die Ortsgeschichte: Über den „sozialistischen Frühling“ in der DDR, in dem die Bauern in die LPG gepresst wurden, bis hin zur Zwangseingemeindung nach Michendorf vor acht Jahren und dem Bau der Michendorfer Umgehungsstraße hatte man oft Hader mit politischen Entscheidungen. Zum 725. Jubiläum Langerwischs, das im kommenden Jahr gefeiert wird, ist jetzt eine Neuauflage der Ortschronik erschienen.
Der 150 Seiten starke Band gibt einen Einblick in die Geschichte und Geschichten des Doppeldorfs am Mittelgraben. So erfährt der Leser zum Beispiel, dass der Graben, der heute als Rinnsaal durch die Feldmark gluckert, einst die Grenze zwischen den Amtsbezirken Potsdam und Saarmund markierte und ein breiter Fluss war, auf dem Torf nach Berlin verschifft wurde. Oder dass hier seit Ende des 19. Jahrhunderts eine dampfbetriebene Feldbahn Lehm aus einer Langerwischer Grube zur Ziegelei auf dem späteren Teltomat-Gelände in Michendorf fuhr. Auch wie der Galgenberg zu seinem Namen kam, wird erklärt: Vor über 530 Jahren soll der märkische Kurprinz Johann Cicero hier einen Söldnerführer hingerichtet haben, der im Auftrag eines böhmischen Herzogs die Zauche verwüstet und sich dann in Beelitz verbarrikadiert hatte.
Vieles von dem, was schon vergessen war, hat die frühere Ortschronistin Carla Krüger zur 700-Jahr-Feier Mitte der 1980er Jahre ans Tageslicht gefördert. „Es ist ein Juwel, jemanden wie sie zu haben“, schreibt Ortsvorsteher Wolfgang Kroll im Vorwort der Ausgabe. Krügers Großneffe Johannes Nest hat ihre Arbeit aufgegriffen und als ihr Nachfolger die Chronik um die Nachwende-Jahre ergänzt.
Die Geschichte von Neu- und Alt-Langerwisch, die erst 1938 zusammengelegt worden sind, beginnt bereits zur Zeit der Besiedelung Brandenburgs vor 850 Jahren. Nach der Eroberung der Mark durch Albrecht den Bären haben auch in den „Langen Wiesen“, so die ursprüngliche Bedeutung des Ortsnamens, deutsche Kolonisten Dörfer gegründet. Geht man nach der Ersterwähnung, ist Neu-Langerwisch sogar zwei Jahre älter als das Nachbardorf. 1285 ließ es der „Edle“ Walter von Barby laut einer Urkunde an das Domkapitel in Brandenburg (Havel) übertragen. Zwei Jahre später wurden laut eines weiteren Schriftstückes die beiden Kirchen Alt- und Neu-Langerwischs vereinigt. Auf die Nennung beider Orte in einer Urkunde beziehen sich die Bürger bei der Jubiläumsfeier im kommenden Jahr.
Es ist anzunehmen, dass in den folgenden 150 Jahren auch die Langerwischer unter der Pest und dem aufblühenden Raubrittertum in der Mark zu leiden hatten – schriftliche Belege über die Lage im Ort gibt es nicht. Die existieren allerdings für das Joch, unter dem die Einwohner später standen. Jederzeit mussten sie mit Pferd oder Hand und Fuß ihrem Feudalherrn zu Diensten sein. „Dazu kamen Pacht, Zins und Naturalien, die abzugeben waren“, wie in der Ortschronik erläutert wird. Manchmal gerieten die Langerwischer auch zwischen die Fronten rivalisierender Fürsten – wie im Dreißigjährigen Krieg, als die Dörfer vorübergehend aufgegeben wurden. Erst hundert Jahre später konnten alle Häuser wieder voll besetzt werden. Die Landwirtschaft war der Haupterwerb der Langerwischer, später kam der Verkauf von Holz dazu.
Auch die Natur machte den Bewohnern des Doppeldorfes das Leben schwer: Hagelkörner so groß wie Hühnereier sollen zum Beispiel in einer Mainacht 1880 vom Himmel gefallen sein. Wieder einmal kam das Unheil von oben. Die Getreideernte war dahin, und als ob dies noch nicht gereicht hätte, sorgte ein Blitzeinschlag vier Monate später für einen Großbrand: Sieben Gehöfte in Neu-Langerwisch wurden komplett zerstört. Es war nicht die einzige Feuerkatastrophe im Ort, wie die Chronik schildert, so dass die Langerwischer Bürger anfingen, ihre Häuser statt mit Stroh und Lehm aus Ziegeln zu bauen. Bis 1898 wurden die Steine vor Ort gebrannt. Die Dorfkerne haben zu jener Zeit ihr Gepräge erhalten, und der Aufdruck AL für Alt Langerwisch ist noch heute auf so manchem Stein an den Hofeinfahrten erkennbar.
Heute, über 20 Jahre nach der Wende, ist das frühere Ortsbild fast komplett wieder hergestellt. Kirche, Gemeindezentrum, Straßen und Gehöfte sind mit 6,6 Millionen Euro aus der Städtebauförderung saniert worden. „Langerwisch hat sich herausgeputzt und ist an vielen Stellen zum Vorzeigedorf geworden“, resümiert Ortschronist Nest. Auch das Vereinsleben, das Anfang des 20. Jahrhunderts mit Feuerwehr, Kleintierzüchter- und Gesangsverein zu pulsieren begann, ist lebendig. Und das trotz mancher Widrigkeiten, denen die Langerwischer in ihrer Geschichte ausgesetzt waren.
Von Thomas Lähns (PNN)
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