In den Jahren um 1900 entstanden eine Reihe von Gartenstadt- und Landhauskolonien rund um Berlin. Wilhelmshorst kann als Variante eines solchen Siedlungstypus angesehen werden.
Um ein besseres Gespür für die Variationsbreite und besonderen Profile dieser seinerzeit modernen Siedlungen und ihrer heutigen Entwicklungspotentiale zu bekommen, werfen wir seit Jahren den Blick über den lokalen Tellerrand hinaus. So besuchten wir bereits Rehbrücke, Wildpark-West, Plaue bei Brandenburg, Eden bei Oranienburg und Falkenberg im Südosten Berlins. Nun steht die Weißenberg-Siedlung „Friedensstadt“ bei Blankensee in den Glauer Bergen auf dem Programm.
Die aus den Nöten des Ersten Weltkrieges erfolgte Gründung von 1920 ist speziell, da sie ganz auf die Person von Joseph Weißenberg (1855-1941) zugeschnitten war. Als Heilsversprecher, Wunderwirker und Magnetiseur – etwa durch Handauflegen – folgte ihm eine größere Schar von Anhängern und Gläubigen. Wie eine religiöse Lichtgestalt firmierte er als Oberhaupt der Evangelischen Johannischen Kirche. Diesen Personenkult nutzte er als Ortsgründer, um soziale, genossenschaftliche Ideen mit religiösen Glaubensinhalten und spirituellen Vorstellungen vom gemeinschaftlichen (Land-)Leben zu verbinden. Liebe, Frieden und Eintracht waren und sind allgemeine Schlüsselbegriffe dieses visionär-utopischen Projektes. Wie sich das in der Struktur und Ansicht dieser Siedlung niederschlug, kann vor Ort genauer studiert werden. Es bleibt anschließend zu diskutieren, ob und inwieweit sich aktuelle Gegenwartsbezüge herstellen lassen.
Die „Friedensstadt“ spiegelt darüber hinaus brennglasartig unsere neuere Geschichte. Die Gründungsgeschichte steht für die liberalen und divergierenden gesellschaftlichen Strömungen der ersten deutschen Republik. Die Nazis verboten dann 1935 die Johannische Kirche, beschlagnahmten das Kirchenvermögen und enteigneten die Siedler, die sich nicht in die NS-Volksgemeinschaft „gleichschalten“ lassen wollten. Mitglieder der SS und ihre Familien okkupierten die Häuser und propagierten eine „Mustersiedlung“ mit arisch-völkischem Vorzeichen. Weißenberg wurde verhaftet, zu einer Zuchthausstrafe verurteilt mit anschließender Verbannung unter strenger Aufsicht der Gestapo nach Oberschlesien, wo er 1941 verstarb. Nach 1945 besetzte die Rote Armee das Gelände und baute es zur Garnison Glau aus. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen 1994 erfolgte eine Rückgabe der ursprünglichen Siedlung an die seit 1946 wieder existierende Johannische Kirche. Diese verschiedenen Zeitschichten haben im Ortsbild gut sichtbar ihre Spuren hinterlassen; sie verleihen der „Friedensstadt“ ein ganz spezifisches Profil. Vieles ist freilich noch vom Verfall bedroht. Heute leben dort etwa 500 Menschen, zum Teil in gut sanierten Häusern.
Ortsgeschichte mit AHA-Erlebnissen ‑ mit Abstand, Hygiene und Alltagsmasken. Die Gefahren der Corona-Pandemie sind noch nicht vorbei. Veranstaltungen zur Ortsgeschichte sind bei aller Vorsicht wieder möglich. Zudem konzentrieren wir unsere öffentlichen Aktivitäten derzeit auf den Außenbereich, also Ortsgeschichte „Open Air“. Im Interesse unserer aller Gesundheit begrenzen wir die Teilnehmerzahl auf 25 Personen. Die Teilnahme ist über den Kontakt-Link unserer Homepage rechtzeitig anzumelden .
Termin: Sonntag, 13. September 2020 um 11.30 Uhr
Dauer: ca. 1,5 Stunden (plus anschließendem Beisammensein)
Treffpunkt: „Friedensstadt“ / Blankensee, Gedenkstätte am Lindenhof, für Radfahrer: Treffpunkt Goetheplatz, Abfahrt 10 Uhr
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