32 Autoren beschreiben 100 Jahre Glück und Unglück in Wilhelmshorst
Am 20. Juni ist es soweit: Dann liegt das Jubiläumsbuch „100 Jahre Wilhelmshorst 1907 – 2007. Eine Waldsiedlung vor den Toren der Hauptstadt“ für die Öffentlichkeit zum Kauf bereit.
Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses schwergewichtige Werk von über 400 Seiten mit mehrfarbigen historischen Aufnahmen hat das Zeug dazu, zu einem Bestseller unter den Ortschroniken des Landes zu werden. Zumindest sucht es weit und breit seinesgleichen. So wird nicht nur die Gründungs-, Bau-, Schul- und Feuerwehrgeschichte akribisch und lebendig zugleich beschrieben, sondern hier spiegeln sich in den Kurzbiografien das Leben und Treiben bekannter und weniger bekannter Wilhelmshorster: So berichten die Autoren ausführlich über die Gründungspioniere des Ortes von 1907, über einschneidende Schicksale und das berufliche Schaffen von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Architekten und Künstlern, die in der Waldgemeinde gelebt und gearbeitet haben.
Die Autoren erzählen von ihren Erlebnissen und tiefen Eindrücken in der Landhauskolonie in turbulenten Zeiten politischer Verwerfungen während der Weimarer Republik. Sie berichten von der Verweigerung mutiger Menschen gegenüber der Obrigkeit. Aber sie verschweigen auch nicht, wie Einzelne während der NS-Zeit den Mächtigen zu Willen waren. Thema ist auch, wie Wilhelmshorster in und nach dem Zweiten Weltkrieg im Ort überlebt haben. Vom Leben und Überleben zu DDR-Zeiten über die Wendejahre 1989/90 kommen die Autoren schließlich in der Gegenwart des Jahres 2006 an.
Zu den berührenden Erlebnissen ehemaliger Wilhelmshorster gehören 80 Seiten „Wilhelmshorster Geschichten“, die dieses Buch bereichern. Da ist nicht nur von Vertreibung, Flucht und neuer Zuflucht in Wilhelmshorst die Rede, nicht nur von Hunger und Unterernährung, sondern vor allem von Freundschaft und friedvollem Neuanfang. So wird ein „Engel ohne Flügel“ aus den 70er Jahren in Gestalt der Gemeindeschwester Ilse Hammel ausführlicher beschrieben und in Aktion mit ihrer „Schwalbe“ abgelichtet. Sie hatte sich jahrelang um alle sozialen Brennpunkte des Ortes gekümmert.
Hat in der Gemeinde sogar eine „Revolution“ stattgefunden? Das fragt die Autorin Gudrun Krauß in ihrem Bericht zur Wendezeit. Ihre Zeilen über die Untergrundarbeit der sich neu formierenden politischen Opposition, die sich kurz vor der Wende auch in Wilhelmshorst mit bescheidenen Mitteln und entschlossen zu Wort meldete, legt diese Frage nahe.
Dieter Kraus weiß über das Abenteuer Hausbau nach der Wendezeit zu berichten, von Unsicherheiten, von Hauseinbrüchen und deren erfolgreicher Abwehr durch die Gründung einer Bürgerwehr in den 90er Jahren. An diesen und weiteren Beispielen zeigt sich, wie sich ein neuer ortstypischer Gemeinschaftssinn selbstbewusst entwickeln konnte, der vielleicht sogar die nächsten 100 Jahre überstehen könnte.
Das Buch ist inhaltlich ein Kaleidoskop lebendiger Ortsgeschichte mit allen Facetten menschlichen Handelns, die durchaus anrühren können, liest man die Erzählungen aus schweren Kindheitstagen. Mancher Beitrag mag sogar betroffen machen, wenn der neugierige Leser zum ersten Mal mit einigen Ergebnissen der Kommunalwahlen im Ort in den Jahren von 1930 bis in die jüngere Vergangenheit konfrontiert wird.
Zahlreiche, bisher unveröffentlichte Bilder von Menschen im Alltagsleben des Ortes reichern das Buch an. Fotos, Zeichnungen und Beschreibungen von architektonisch bemerkenswerten, noch heute erhaltenen Landhäusern und Bauwerken im Ort machen die Ortsgeschichte zu einem unterhaltsamen und zugleich auch zeitgeschichtlich aufschlussreichen Werk. Ein gelungener Balanceakt zwischen der Darstellung eines facettenreichen Ortslebens und dem eigenen Anspruch der „Freunde und Förderer der Wilhelmshorster Ortsgeschichte e.V.“ als Herausgeber, auch noch den exakten historischen Kontext herauszuarbeiten. Ein zusätzliches Bonbon gibt es für denjenigen, der es noch genauer wissen will: Die wichtigen Fakten und Darstellungen werden durch historisch belegbare Quellen nachgewiesen.
„100 Jahre Wilhelmshorst“ komprimiert in über 400 Seiten, mit zahlreichen bisher unveröffentlichten Bildern, teils vielfarbig, wird für 25 Euro verkauft. Möglich ist dieser Preis nur, weil viele Wilhelmshorster bereits vor Erscheinen der Ortsgeschichte einen erheblichen Zuschuss zu den Druckkosten gespendet haben.
100 Jahre Wilhelmshorst (1907 – 2007). Eine Waldsiedlung vor den Toren der Hauptstadt. Hrsg.: Rainer Paetau für die „Freunde und Förderer der Wilhelmshorster Ortsgeschichte e.V.“, Eigenverlag, Wilhelmshorst 2007, ISBN 978-3-00-021775-3, 25 Euro.