Ehemalige Eigentümer desWilhelmshorster Gemeindehauses
Arnold von Tresckow (1908–1991) pflegte nur wenig von seiner Jugendzeit zu sprechen. Und wenn, dann war Wilhelmshorst meistens ein wiederkehrender Fixpunkt seiner Erzählungen. Insbesondere schwärmte er vom großen Haus seines Onkels Adolf Becherer, bei dem er als Potsdamer Gymnasiast in der damaligen Eibenstraße 5- 7 gewohnt hatte, bis das eigene Haus im Irisgrund bezugsfertig geworden war. Letzteres verwaltete Arnold von Tresckow bis 1958, bis sämtliche Kommunikationsverbindungen zur Bundesrepublik Deutschland –wo er seit 1945 lebte – „von Staats wegen“ gekappt wurden.
Erst die deutsche Wende von 1989/90 ermöglichte es ihm noch einmal, nach 45jähriger Trennung und kurz vor seinem Tod eine Reise in die Vergangenheit seiner Jugendzeit zu unternehmen. Natürlich besuchte er auch das Haus seines Onkels in der jetzigen Dr.-Albert-Schweitzer-Straße 9-11, zu dieser Zeit noch als Kinderkrippe genutzt. Die damalige Leiterin der Kinderkrippe war ziemlich verblüfft über die detailreichen Beschreibungen, die Arnold von Tresckow zum Haus und zu einzelnen Zimmern geben konnte, wie die Räume eingerichtet waren, wo was gestanden hatte. Sie wusste nur, dass vor dem Einzug der Kinderkrippe Mitte der 1960er Jahre ein gewisser Herr Preuß der Besitzer dieses Hauses gewesen war –und hielt folglich den vor ihr stehenden Herrn für dessen Verwandten. Der Name Becherer indes sagte ihr nichts.
Dies ist kein Einzelfall. Warum das Gemeindehaus im öffentlichen Gedächtnis als „Haus Preuß“ bekannt ist und kaum mit dem Namen Becherer in Verbindung gebracht wird, dem bleibt später noch einmal genauer nachzugehen. Ähnlich verhält es sich ja auch mit dem „Haus Dorsch“, der „Färber-Villa“ und anderen Häuser- Bezeichnungen. Namensgebungen sind bekanntlich eine Geschichte für sich. Zurück zum Gemeindehaus: Die Bezeichnung „Haus Preuß“ rührt daher, dass Becherers Sohn Helmut vor seiner Ausreise nach West-Berlin die Immobilie im April 1949 an den Beelitzer Holzhändler Emil Preuß verkaufte. Dieser übereignete das Haus Jahre später der Gemeinde Wilhelmshorst mit der Auflage, es im öffentlichen Interesse zu nutzen. Doch wer war eigentlich Adolf Becherer?
Gelegentlich führt der Zufall auf die Spur. Als im Herbst 2001 die neugegründete „Arbeitsgemeinschaft Ortsgeschichte Wilhelmshorst“ ihr erstes reguläres Arbeitstreffen im Gemeindehaus abhielt, wusste Anna Katritzke auf die entsprechende Frage hin sofort vom „Haus Preuß“ zu erzählen – und „ganz früher“ habe hier ein Berliner Polizeipräsident Becherer gewohnt, über den aber nichts Genaueres bekannt sei.
Der Zufall kam erneut ins Spiel, als die beiden Verfasser dieses Artikels sich im Spätsommer
2001 kennenlernten. Und irgendwie zufällig ist die Rede vom Haus in der Wilhelmshorster Dr.-Albert-Schweitzer-Straße gewesen und dessen ehemaligen Eigentümern. Da hat sich dann schnell herausgestellt , dass der eine mit Adolf Becherer verwandt ist. Und von diesem wusste er lediglich, dass sein Großonkel nach seinem „Rückzug“ als Polizeipräsident dieses Haus gebaut hatte und seine kriegsverwitwete Schwester werbend ins schöne Wilhelmshorst nachgezogen hatte. Auf einmal taten sich ganz neue Interessen und Perspektiven auf –und komplizierte Quellenüberlieferungen. Einem Historiker bzw. historisch Interessiertem sind die Berliner Polizeipräsidenten entweder namentlich bekannt oder zumindest rasch anhand einschlägiger Bücher nachzuweisen. Einen Berliner Polizeipräsidenten des Namens Becherer gab es aber nicht. Doch sollte sich der Sachverhalt rasch aufklären.
Als „moderne“ Menschen sind wir es gewohnt, Berlin uns in den Grenzen des letzten Jahrhunderts vorzustellen. Das ist das Berlin seit dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920. In der Zeit davor aber war Berlin eine relativ „kleine“ Hauptstadt. Dagegen zählten die Berliner „Vororte“ Charlottenburg, Rixdorf bzw. Neukölln oder Steglitz zu den größten, selbständigen Städten Preußens – jenseits der verwaltungsrechtlichen Stadtgrenze Berlins zum Regierungsbezirk Potsdam gehörend, aber im alltäglichen Leben funktional eng mit der Hauptstadt verbunden.
Ohne Kenntnis dieser verwaltungsgeschichtlichen Zusammenhänge würde man auf der Suche nach überlieferten Quellen und Akten etwa zur Person Becherers in die Irre geleitet werden. Im umgekehrten Fall hingegen wird man fündig vom Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Dahlem über das Landesarchiv Berlin und das Brandenburgische Landeshauptarchiv in Potsdam –ja sogar bis hin zum Landesarchiv Schleswig-Holstein, dem dänischen Landesarchiv in Apenrade bis hin zu privaten Überlieferungen: eine Spur preußisch-deutscher Biographie-Geschichte, die letztlich nach Wilhelmshorst führt.
Wir kürzen hier die verwickelte Geschichte zur historisch-biographischen Spurensuche ab und wollen die Person Becherer in aller Kürze vorstellen, die später noch einmal genauer zu porträtieren sein wird. Adolf Becherer wird 1865 im thüringischen Mühlhausen geboren als Sohn des Justizrats Christian Adolf B. und dessen Ehefrau Johanne Mathilde, geb. Monecke. Seine Schulzeit in Mühlhausen schließt Becherer 1886 mit dem Abitur ab und studiert Jura in Erfurt. Weitere Stationen: 1889 Referendarexamen und erste Stelle als Gerichtsreferendar; 1891 Regierungsreferendar in Erfurt, 1893 das Examen als Regierungsassessor.
Keine Karriere ohne Mobilität: Seit 1893 ist Becherer bei der Provinz-, also der Landesregierung im norddeutschen Schleswig tätig, für kurze Zeit auch beim dortigen Oberpräsidenten. Hier wird er auf eine politisch schwierige, ja brisante Aufgabe vorbereitet: Zur Jahrhundertwende übernimmt Becherer das Amt des Landrats im nordschleswigschen Hadersleben –in einem Gebiet, das sich erst seit den Bismarckschen Einigungskriegen von 1864/66 in preußisch-deutscher Hoheit befindet und stark von deutsch-dänischen Minderheitskonflikten geprägt ist. In seiner achtjährigen Amtszeit als Landrat entpuppt sich Becherer als ein strikter Vertreter der „Verdeutschungspolitik“, wie es zeitgenössisch heißt.
Als die Staatsregierung in Berlin von ihrem Konfliktkurs gegen die nordschleswigschen Dänen etwas abgeht, wird Becherers Position im Norden unhaltbar. Jedoch hat er sich im Urteil seiner Vorgesetzten in verwaltungspolitischer Hinsicht auf dem schwierigen Posten bewährt und qualifiziert für höhere Aufgaben. So wird Becherer 1908 zum Polizeipräsidenten von Rixdorf, dem späteren Neukölln, ernannt. Sein dienstliches wie privates Domizil ist seitdem das Polizeipräsidium an der Kaiser- Friedrich-Straße (heute: Sonnenallee). Becherers Karriere als politischer Beamter endet in den Revolutionswirren von 1918/19 –er wird vom Neuköllner Arbeiter- und Soldatenrat kurzerhand abgesetzt. Ein Angebot zur Wiederverwendung im Staatsdienst lehnt er Ende 1919 im Alter von 54 Jahren ab. Er verläßt das unruhige Berlin und zieht als Privatier nach Wilhelmshorst, wo er bis zu seinem Tode 1941 lebt.
Becherer hat in Schleswig 1901 Hildegard Brocks (geb. 1882) geheiratet, die Tochter eines Provinzialschulrats. Da die Ehe kinderlos bleibt, adoptiert das Ehepaar Ende 1918 den 1916 geborenen Helmut –manchen älteren Wilhelmshorsterinnen noch als flotter Mann und Tennisspieler in guter Erinnerung. Doch über das Privatleben der Familie Becherer in den 1920er/30er Jahren in Wilhelmshorst ist bislang wenig bekannt. Deshalb eine Bitte an unsere Leser zum Schluss: Wer kann mit Informationen, mit Geschichten und Fotos zur Familie und zum Haus der Becherers weiterhelfen? Über eine Kontaktaufnahme unter Telefon 033205/44779 (Paetau) würden wir uns freuen.
W. v. Tresckow / Dr. R. Paetau
[Dazu 2 Fotos ! ]