Nauener Vorstadt – „Sensationelle Informationen und Materialien“ werde die im Februar 2012 eröffnende neue Dauerausstellung im ehemaligen KGB-Untersuchungsgefängnis Leistikowstraße 1 bieten.
Dies kündigte gestern die Gedenkstättenleiterin Ines Reich vor Journalisten an. Quelle neuer Erkenntnisse sei etwa „ein Überläufer“, so die 43-Jährige, der vom sowjetischen Geheimdienst zum amerikanischen Geheimdienst CIC übergelaufen war, dem Counter Intelligence Corps, ehemaliger Nachrichtendienst des US-Heeres. „Durch ihn haben wir gute Kenntnisse, wie hier gearbeitet wurde und wer hier zuständig war.“ Bis zu 1200 Personen waren in den 36 Zellen des russischen Geheimdienstgefängnisses allein zwischen 1945 und 1950 inhaftiert.

Als überraschend gute Quelle stellte sich Ines Reich zufolge auch das lettische Staatsarchiv in Riga heraus, von dem sie drei komplette Ermittlungsakten von nach 1945 in der Leistikowstraße einsitzenden Häftlingen erhielt. „Die nächste Lieferung ist für März avisiert“, so die promovierte Historikerin, die nach zehnjähriger Forschungsarbeit nicht mehr daran geglaubt habe, je an diese konkreten Geheimdienstakten des KGB zu kommen: „Eine komplette Ermittlungsakte – das ist Wahnsinn.“ Der Sprecher der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Horst Seferens, sagte, selbst für die international renommierte Ausstellung über das Speziallager Sachsenhausen sei es nie gelungen, an eine Ermittlungsakte zu kommen. „Die liegen im Archiv des heutigen russischen Geheimdienstes und sind gesperrt“, erklärte Seferens.

Erstmals gab Ines Reich gestern Details der neuen Dauerausstellung bekannt. Alle drei Etagen des ehemaligen zentralen KGB-Untersuchungsgefängnisses für die ehemals sowjetisch-besetzte Zone (SBZ) und die DDR würden „bespielt“. In einem Gutachterverfahren mit sechs Büros habe sich das Berliner Büro Gerhards & Glücker mit seinem Ausstellungskonzept durchgesetzt, das Ende Oktober 2010 vom Beirat der Gedenkstätte einstimmig begrüßt worden sei. Im Obergeschoss der 1916 errichteten Villa werden demnach die Biografien von 18 ehemaligen Häftlingen mit Fotos und Texten vorgestellt. In einer Medienstation im Erdgeschoss werden Videos gezeigt, die mit überlebenden Zeitzeugen gedreht wurden. Im Keller werden Besucher „das Kostbarste sehen, was wir haben“, so Ines Reich: Von Häftlingen in die Wände enger Kellerzellen eingeritzte Inschriften. Deutlich ist etwa die Signatur „Elisabeth Reich, Pankow “ oder auch der Name „Erika Sagert“ zu lesen. Erika Sagert aus Wilhelmshorst war 1953 mehrere Monate in der Leistikowstraße inhaftiert. Die damals 24-Jährige hatte im Januar 1953 im Potsdamer „Militärstädtchen Nr. 7“ nach Brennholz gesucht und war festgenommen worden. Ines Reich ist es gelungen, sowohl die mit ihr nicht verwandte Elisabeth Reich als auch Erika Sagert ausfindig zu machen und mit ihnen Interviews zu führen (PNN berichteten).

Eine Werkstatt-Woche für alle Interessierte kündigte die Gedenkstättenleiterin vom 14. bis zum 20. Mai an. An sieben Tagen sollen anhand von sieben Exponaten sieben Themen in Vorträgen und Gesprächen erörtert werden. Thematisiert werden die Kellerinschriften, die Geschichte des Hauses in der ehemaligen Mirbachstraße 1, die Biografien der Häftlinge, die Spionageabwehr, das Militärstädtchen. Ines Reich kündigte an, dass bis zur Werkstatt-Woche im Mai die Verdunklung der Kellerfenster realisiert werde, wie sie von ehemaligen Häftlingen gefordert wurden.

Dessen ungeachtet übte Bodo Platt von der Zeitzeugen-Initiative, die seit Monaten mit der Gedenkstätten-Stiftung streitet, gestern scharfe Kritik: Die laut Seferens für den Einbau der Dauerausstellung „unvermeidliche“ Schließung der Gedenkstätte ab September 2011 sei eine „temporäre Totalschließung“, die Projektwoche im Mai ein „weiteres Ablenkungsmanöver“. Der Gedenkstättenleiterin fehle es an „Empathie“ gegenüber den Zeitzeugen. Seferens sagte, die Gedenkstätte habe Kontakt zu 27 ehemaligen Häftlingen, in der Ausstellung würden auch Biografien von Mitgliedern der Zeitzeugen-Initiative aufgenommen.

Von Guido Berg

Quelle: PNN